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Künstliche Intelligenz für die autonom fahrende Stadtbahn

Künstliche Intelligenz für die autonom fahrende Stadtbahn

Ende September 2018 haben Thales Deutschland und die in Karlsruhe ansässige Albtal-Verkehrs-Gesellschaft (AVG) auf der Innotrans in Berlin eine Vereinbarung unterzeichnet, die die Zusammenarbeit beider Unternehmen in einem gemeinsamen Projekt für autonomes Fahren regelt. Das gemeinsame Ziel: die Entwicklung einer autonom fahrenden, elektrischen Stadtbahn.

Das Projekt „autonom fahrende Stadtbahn“ von Thales Deutschland und der Albtal-Verkehrs-Gesellschaft (AVG) ist äußerst herausfordernd in Bezug auf die Aspekte Zeit, Komplexität, Innovation, aber auch hinsichtlich der technologischen Vielfalt der zum Einsatz kommenden Produkte und Systeme. Bevor man sich jedoch auf die Technologie und die Lösung konzentriert, ist es wichtig, den betrieblichen Anwendungsfall zu erläutern, der zur technischen Lösung führt.

 

 

Am Anfang des Projektes konzentrierten sich die Partner auf die Optimierung der bestehenden Prozesse und einen Anwendungsfall in Zusammenhang mit dem Depot-Management der AVG. In Karlsruhe müssen die Fahrer nachts nach Betriebsschluss ihre Züge im Depot abstellen. Hier können sie bis zu 45 Minuten Zeit einbüßen, wenn sie in Spitzenzeiten in einer Warteschlange stehen. Auch bei nächtlichen Wartungsroutinen verlieren Fachkräfte viel Zeit durch das Rangieren der Züge. Diese weniger wertigen Aufgaben beeinflussen kontinuierlich die Leistung der zum Einsatz kommenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Eine enorme Prozessoptimierung und Effizienzsteigerung kann erreicht werden, wenn die Züge in der Lage sind, selbstständig zu rangieren und sich so hochqualifizierte Wartungsingenieure auf ihre eigentlichen Aufgaben konzentrieren können.

Mitte Dezember 2018 hat dieses Projekt bereits erste Früchte getragen – auf einem Betriebshof der AVG in Karlsruhe fanden die ersten Fahrten im Automatisierungsgrad GoA3 statt (Grade of Automation – In Level 3 fahren die Züge begleitet und fahrerlos. Statt einer ständigen Kontrolle durch einen Fahrer gibt es nur noch einen Zugbegleiter, der für die Türsteuerung zuständig ist und über ein Notfall-Bedienfeld den Zug bewegen kann).

Automatisch versus autonom

Metros oder Sky-Trains an Flughäfen sind schon seit vielen Jahren fahrerlos im Einsatz. Diese Züge fahren aber lediglich automatisch, nicht autonom. Automatische Züge sind in einer geschlossenen Umgebung unterwegs und ihr Betrieb wird nicht von äußeren Faktoren beeinflusst. Autonom fahrende Züge dagegen verkehren in einer offenen oder halboffenen Umgebung, wo ungeplante Ereignisse jederzeit eintreten können. Hier muss der Zug in der Lage sein, zu reagieren. Um sich kontinuierlich seiner Umgebungssituation bewusst zu sein, muss er intelligenter sein als seine automatisch fahrenden Pendants. Ein Echtzeitbewusstsein erlangt der Zug durch die Ausstattung mit entsprechenden Sensoren.

Für eine autonom Fahrende Stadtbahn werden verschiedenen Arten von Sensoren benötigt: Nah-, Mittel- und / oder Fernbereichssensoren. Diese Sensortypen werden nach verschiedenen Parametern ausgewählt. Der Hauptfaktor bleibt aber die Zuggeschwindigkeit und der dadurch bedingte Bremsweg, der auch entscheidend von der Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit der Sensoren und deren Erfassungsbereich abhängt. Im Mittel- und Nahbereich stoßen Sensoren aus der Automobilindustrie an ihre Grenzen, hier tragen andere Branchen wie Avionik oder Verteidigung zur Problemlösung bei.

Thales verfügt als international und in unterschiedlichen Märkten agierendes Unternehmen über eingeführte und bewährte Technologien, wie zum Beispiel Sensoren und Systeme zur Hinderniserkennung aus der Verteidigung / Optronik, sichere und präzises Satellitenortung aus der Raumfahrt / Avionik oder Cyber-Security-Lösungen aus unterschiedlichen Anwendungsfeldern. Thales bündelt diese Technologien und stellt sie seinen Kunden als RailBot™ zur Verfügung und erfüllt dabei die höchsten Sicherheitsanforderungen der Bahnindustrie.

Erkenne, Erfassen, Identifizieren

Einer der großen Herausforderung beim autonomen Fahren besteht darin, die richtige Balance zwischen Sicherheit und Verfügbarkeit zu finden. Wenn der Zug wegen falschem Detektieren ständig anhält, ist die Verfügbarkeit des Bahnverkehrs gefährdet. Der Zug benötigt eine zuverlässige Wahrnehmung, um Hindernisse, die sich vor dem Zug befinden, zu erfassen und darüber hinaus die Streckenumgebung zu überwachen. Um dabei eine effiziente Lösung zu erreichen, müssen verschiedene Stufen der Wahrnehmung unterschieden werden: das Erfassen, das Erkennen und schließlich das Identifizieren von Hindernissen.

Wenn zum Beispiel ein für den Zug unkritisches Objekt erkannt wird, wie zum Beispiel eine Plastiktüte oder ein Pappkarton, muss die Reaktion des Zugs anders ausfallen, als wenn ein Baum oder ein LKW die Route des Zuges blockiert. Hier kommt bei Thales künstliche Intelligenz (KI) zum Einsatz. Maschinen lernen unterschiedliche Hindernis-Typen, mit denen der Zug konfrontiert werden kann, selbstständig zu erkennen, zu verarbeiten und können zudem auch einschätzen, wie gefährlich diese vor dem Hintergrund der Geschwindigkeit, der Wetterbedingungen und der Streckenführung sind.

Beim Projekt in Karlsruhe gibt es drei Ebenen künstlicher Intelligenz:

  1. Erfassen, um welche Art des Hindernisses es sich handelt (Auto, LKW, Person, Baum, Fahrrad, etc.)
  2. Erkennen, welche Absicht das Objekt verfolgt: ist es statisch oder bewegt es sich, und wenn es sich bewegt, entfernt es sich vom Bahngleis oder nähert es sich dem Bahngleis
  3. Entscheiden und Einleiten von Maßnahmen, die der Zug treffen soll: Notbremsen, Verzögern, Beschleunigen, Hupen, etc.

Mit dieser Art von Sensorik können deutlich mehr Hindernisse auch bei ungünstigen Wetterbedingungen und bei schlechten Lichtverhältnissen erkannt und dabei Situationen antizipiert werden, die bislang nicht möglich waren. So ist Thales in der Lage, seine Kunden aus der Bahnbranche auf die nächste Stufe der operationellen Verfügbarkeit zu bringen. Autonom fahrende Züge werden zukünftig die Position der Bahnindustrie zur Gewährleistung einer globalen Mobilität verbessern und damit auch den Fahrgästen eine besser Mobilität und Flexibilität ermöglichen.