Digitalisierung im Schienenverkehr
Wie die meisten Branchen erlebt der Schienenverkehr seit einigen Jahren einen rasanten digitalen Wandel, dessen Auswirkungen schwer vorhersehbar sind. „Wir befinden uns an einem entscheidenden Punkt in der Entwicklung des Bahnverkehrs“, so Pierre-Antoine Benatar, Marketing Manager bei Thales im Bereich Transportation.
Benatar ist der Ansicht, dass sich die grundlegenden Anforderungen der Bahn- und Schienennetzbetreiber durch die Digitalisierung nicht verändert haben - die bekannten Kriterien für die Leistungsfähigkeit des Schienenverkehrs bleiben weiterhin bestehen. Allerdings lassen sich durch den Einsatz von digitalen Technologien sämtliche Anforderungen besser erfüllen. Im Einzelnen geht es darum,
- Personen und Güter sicher und zuverlässig zu befördern,
- den Fahrgästen das bestmögliche Fahrerlebnis zu verschaffen,
- die Betriebseffizienz laufend zu verbessern,
- die Infrastruktur- und Betriebskosten zu senken,
- die Kapazitäten des Streckennetzes zu erhöhen, ohne neue Strecken errichten zu müssen.
Digitalisierung macht sich am stärksten im Betriebsmodell der Bahn- und Schienennetzbetreiber bemerkbar. Technologien wie Künstliche Intelligenz, Big Data und Cloud Computing, Konnektivität und Autonomes Fahren werden hier zum Einsatz kommen. Diese Technologien schaffen ein Umfeld, in dem die Bahnbetreiber flexibler und schneller handeln und sich kontinuierlich an neue Gegebenheiten anpassen müssen.
Chancen und Risiken für den Schienenverkehr
In diesem neuen Umfeld bieten sich zahllose Chancen zum Aufbau einer „neuen globalen Mobilitätsplattform“, auf der die Fahrgäste mit Konnektivitäts-, Informations- und Online-Diensten, sowie einem effizienten und zuverlässigen Schienenverkehr von Tür zu Tür befördert werden.
Gleichzeitig entstehen auch neue Wettbewerber, welche mit digitalen Technologien neue Transportangebote entwickeln. Es handelt sich um Unternehmen wie Carsharing-Anbieter und andere kostengünstige Alternativen zu Bus und Bahn. Diese neuen Marktteilnehmer stellen eine ernstzunehmende Bedrohung für klassische Bahnbetreiber dar.
Aufgrund solcher Entwicklungen ist die Digitalisierung keine Option, sondern ein Muss. „Die Parallelen zur Natur sind faszinierend“, sagt Benatar dazu. „So wie Tiere und Pflanzen sich auf verändernde Umweltbedingungen einstellen, muss sich auch der Transportsektor auf veränderte Rahmenbedingungen einstellen. Es ist eine Evolution, die den Schienenverkehr tiefgreifend verändern wird. Dieser Transformationsprozess beginnt mit der Digitalisierung des laufenden Geschäfts.
Die Kundenzufriedenheit im Zentrum der Digitalisierung
Alle klassischen Bahn- und Schienennetzbetreiber werden diesen digitalen Transformationsprozess in einem bestimmten Umfang durchlaufen. Einige Bereiche sind bereits von Natur aus digital und entwickeln sich einfach weiter, um die neuesten Technologien zu nutzen. Das gilt beispielsweise für die Zugsicherung - ein Gebiet auf dem Thales besonders leistungsfähig ist - oder den Bereich der Fahrgastsicherheit, in dem zunehmend intelligente Videoanalysen eingesetzt werden. Auch der Austausch zwischen Fahrgästen und Betreibern, als auch die Fahrpreisabrechnung werden zunehmend über digitale Technologien erfolgen.
Eine kontinuierliche Internetanbindung verschafft sowohl Kunden als auch Bahnbetreibern neue Möglichkeiten: So können die Bahnbetreiber den Fahrgästen während der gesamten Fahrt Informationen und Dienstleistungen zur Verfügung stellen, während die Bahnbetreiber selbst Daten erhalten, die sie zur Optimierung des laufenden Betriebs, wie auch zur Entwicklung besserer und noch bedarfsgerechterer Mobilitätsangebote benötigen.
Im Rahmen einer neuen Mobilitätsplattform werden aus Rohdaten präzise Echtzeitinformationen und Prognosen für Fahrgäste und Betreiber gewonnen. Die Plattform ist in der Lage ihr Verhalten, dynamisch an sich ständig ändernde Betriebsszenarien anzupassen. Zu diesem Zweck sammelt sie Daten aus zahlreichen betriebsrelevanten Bereichen. Dazu zählen die Zugsicherung, die Fahrpreisabrechnung, Videoanalysen und anonymisierte Standortdaten der mobilen Geräte der Fahrgäste.
Außerdem statten die Bahnbetreiber ihr Service- und Wartungspersonal zunehmend mit Tablet-PCs aus, welche ihnen aktuelle Echtzeitinformationen liefern. Dadurch können die Mitarbeiter bei Bedarf schneller handeln, um die Kundenzufriedenheit und Betriebszuverlässigkeit zu verbessern und gleichzeitig die Kosten zu minimieren.
Autonom statt automatisch – Die Zukunft der Personenbeförderung
In der letzten Phase der Digitalisierung werden Züge und Bahnen autonom betrieben. Dazu werden Züge mit „Augen“ ausgerüstet, d. h. mit fortschrittlichen Sensoren, mit deren Hilfe die Zugsteuerung die Umgebung des Zuges vollständig wahrnehmen kann. Diese Sensoren werden anschließend mit KI-Systemen verbunden, damit das Streckennetz vollautomatisch befahren werden kann. Dass dies nicht nur Vision ist, zeigt sich in Karlsruhe. Thales Deutschland entwickelt hier gemeinsam mit der dort ansässigen Albtal-Verkehrs-Gesellschaft (AVG) eine autonom fahrende, elektrische Stadtbahn.
Des Weiteren werden alle Zugbewegungen im Streckennetz über eine moderne Verkehrsleitstelle koordiniert, die ebenfalls auf künstliche Intelligenz setzt. Autonome Züge sind der größtmögliche Beitrag, den digitale Technologien zur Verbesserung der Personenbeförderung sowie zur Erfüllung aller sonstigen Anforderungen der Betreiber leisten können. Im Forschungsprogramm „Digitale Leit- und Sicherungstechnik (LST)“ beispielsweise entwickelt die DB Netz das Zugsicherungssystem der Zukunft. Zukünftig sollen Meldungen, ob ein Gleis frei oder belegt ist, nicht mehr über Achszähler auf der Strecke, sondern durch die Positionsmeldung der ETCS-Fahrzeugeinrichtung an die Streckenzentrale gemeldet werden. Anfang September 2018 wurde das Living Lab der DB Netz genutzt, um gemeinsam mit Thales und dem rollenden Laborfahrzeug „Lucy“ eine Demonstration der Technologie durchzuführen. Dabei testete Thales alle Komponenten der Zugsicherungstechnik. Mit weiteren Projekten wie bspw. Lite4ce™, SelTrac™ und ARAMIS™ auf GDP (Digitale Plattform), hat Thales bereits erfolgreich gezeigt, dass es gewaltige Fortschritte in der Digitalisierung des Schienenverkehr gibt und die Autonomie von Mobilität nicht mehr in unerreichbarer Ferne liegt.
Auch in dem so großen und wichtigen Bereich der Wartung des Schienennetzes vollzieht sich ein digitaler Wandel: Mithilfe von zahlreichen kleinen Sensoren, die im gesamten Gleis- und Weichensystem verteilt sind, können Daten erhoben und sofort von KI- und Big Data-Modelle analysiert werden. Dadurch wird es möglich, den Wartungsbedarf proaktiv vorherzusagen, ungeplante Zwischenfälle oder Verzögerungen zu vermeiden und die Infrastruktur sicherer und effizienter zu betreiben.
Cybersicherheit im Schienenverkehr
Insbesondere im Hinblick auf die Schienen verfügt Thales über ein einmaliges Lösungsportfolio: Weltweit werden jedes Jahr mehr als 8 Millionen Fahrten im öffentlichen Nahverkehr mithilfe von Thales-Systemen durchgeführt.
Pierre-Antoine Benatar ist sich durchaus bewusst, dass „die Digitalisierung im Schienenverkehr von vielen Bahnbetreibern als eine große Herausforderung wahrgenommen wird“, weiß jedoch auch, „dass Thales in der Lage ist, die Unternehmen durch diesen großen Veränderungsprozess zu begleiten. Wir wissen, wie wir die Leistungsfähigkeit der digitalen Technologien nutzen können, um für unsere Kunden Kosteneinsparungen und Serviceverbesserungen zu erzielen. Dazu setzen wir auf eine intelligente Infrastruktur, ein attraktives Fahrgasterlebnis, Cybersicherheit sowie autonome Züge oder ganze U-Bahn-Systeme.“